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Pornografie, Moral und gesellschaftliche Verhältnisse (als Antwort an Tilly)

geschrieben von nachtschatten  am 06.11.2012 um 18:41:28
Zu dem Text hat mich eine Antwort von Tilly gebracht.

http://www.hilflos-gefesselt-erregt.de/showentry.php?sNo=57766

Ich stelle ihn trotzdem mal extra ins Forum, weil er etwas umfassender geworden ist, als geplant und deshalb vielleicht besser für sich alleine steht.


Hallo Tilly,

ich kann deinen Ekel gut nachvollziehen. Und ich finde es gut, dass du dich in einer Zeit und einem Umfeld, in denen Porno zum allgemeinen Ton gehören, so konsequent äusserst.

Trotzdem hat mich dein Satz zum nachdenken gebracht. Ich habe das schon in der Antwort an die Bienenkönigin angedeutet.

Die Problematik, die ich dabei für mich sehe, ist, dass meine sadomasochistischen Fantasien eben auch einen rein fantastischen Anteil haben, in dem es durchaus gerade darum geht, das "Opfer" zu einem Objekt der Lust zu machen. Das ist natürlich ein schweres Eingeständnis, und das gilt nicht für das, was ich insgesamt mit meiner Freundin auslebe. Ich meine eben jenen Anteil an der Fantasie, der im Kopf vielleicht bei jedem mitspielen muss.

Als Bottom mag es ein anderes Erlebis sein, sich fesseln zu lassen, und Schmerz zu empfangen. Aber wenn man als Bottom von einem Top erwartet, dass er/sie das mit Lust an einem ausführt, dann finde ich, dass es schon viel erwartet ist, wenn man gleichzeitig eine völlige Widerspruchslosigkeit erwartet zwischen den Fantasien des Top und dem dazugehörigen tatsächlichen zwischenmenschlichen Verhältnis.

Gut, du hast ja mal erwähnt, dass dein Mann das eher für dich macht. Aber du hast auch geschrieben, dass er deshalb in einen Konflikt gerät, weil es seiner Moral ("Was du nicht willst, dass man dir tut...) widerspricht.

Nun versetze dich mal in einen Menschen, der tatsächlich Lust verspürt, seine Partnerin zu fesseln und SM mit ihr zu machen. Ich glaube, dass die Lust, die er daraus zieht, zumindest auf einer ganz speziellen Ebene eben genau dem widerspricht, was er allgemein für sie empfindet. Einen Menschen, den ich liebe, nehme ich in den Arm, bin gut zu ihm, schütze ihn, helfe ihm. Sonst nichts.

Bei SM lässt man auf sexueller Ebene vielleicht schon bestimmte Fantasien zu, die eben auch damit zu tun haben, aus dem begehrten Menschen ein Objekt zu machen. Zeitweise, teilweise und im geschützen Rahmen einer Session. Aber wenn man ehrlich ist, tut man es.

Nun ist es bei der Pornografie aus meiner Sicht so, dass sie, egal ob vanilla, oder SM, eben deshalb funktioniert, weil sie genau diese Seite der Sexualität anspricht. Auch ein reiner vanilla-Porno wird nicht ansatzweise das geben können, was echter, liebender Sex gibt. Ganz einfach, weil es beim realen Sex nicht um ein Mehr geht, sondern zusätzlich noch um etwas völlig anderes. Aber auch beim Vanilla-Porno wird die Frau auf ein begehrtes Objekt reduziert. Genauso spielt beim echten SM-Sex immer noch dieses Mehr mit, das Porno nicht geben kann.

Also ich will das nochmal modellhaft so zusammenfassen:

Sexualität ist immer begleitet von einem Anteil in der Fantasie, in der ein anderer Mensch die Rolle eines begehrten Objekts einnimmt. In der realen Sexualität kommt eigentlich immer ein großer Anteil zusätzlicher Faktoren hinzu: Liebe, Anziehung, Respekt, Einvernehmen. Wenn man diese Faktoren weglässt, befindet man sich immer in einer realen Vergewaltigung.

Porno dagegen ist nicht der Versuch, Sexualität in ihrer Ganzheit zu kopieren, sondern kann sich immer nur auf jenen fantastischen Anteil der Sexualität beziehen, in dem die sexuelle Fantasie sozusagen von allem anderen entkoppelt ihren eigenen Weg geht. Das ist es, was Porno eigentlich immer irgendwie „unmenschlich“ macht. Der Gesamtzusammenhang wird gezielt ausgeblendet, damit die Fantasie ungeniert erlebt werden kann.

Einen interessanten Ansatz liefert Wolfgang Berner auch in seinem Buch „Perversion“ im Kapitel zu Pornografie: „Es handelt sich dann nicht um eine Perversion im eigentlichen Sinne, sondern um eine Art Ventil, das manchmal benötigt wird, weil unserem Liebesleben eine 'Zielhemmung' auferlegt ist. Wir wollen nicht alle unsere sexuellen Bestrebungen unseren Liebespartnerinnen und -partnern zumuten, etwa weil sie zu aggressiv-entwertend, unappetitlich oder technisch schwierig durchzuführen sind, aber doch wenigstens in der Fantasie einen Weg zur Verwirklichung finden (vgl. Berner & Koch 2009)“

Also bis zu diesem Punkt würde ich aus meiner Sicht sagen, dass man anerkennen muss, dass Sexualität in vieler Hinsicht eben auch aggressive bis ekelhafte Elemente haben kann. Zumindest für den, der sie objektiv betrachtet. Es findet sicher auch jeder Aussenstehende schockierend, wenn sich jemand irgendwo anketten lässt und das dabei empfundene Leid sexualisiert und als erregend erlebt. Man könnte dann sagen, dass in der Pornografie Menschen, die Lust daran empfinden, das professionell inszenieren, was eben nicht jeder erleben kann. Ähnlich wie ein Künstler lassen sie über ihr Werk andere Menschen teilhaben an der fantastischen Verwirklichung der Fantasie. Dabei steht das sexuell Erregende absolut im Mittelpunkt, das Drumrum ist sozusagen die Leinwand, das Können, das der Betrachter getrost einmal ausblenden darf, über das er sich keine Gedanken machen muss. Der Porno ist also die Fantasie, die ich in der Realität gar nicht erleben will oder kann, ähnlich wie bei einem Film oder einem Computerspiel, die mich ja auch in eine Welt voller Möglichkeiten führen. Dass die Sexualität dabei so im Mittelpunkt steht, wäre dann nur eine Frage der Moral oder des Geschmacks.

Dass jeder dann lernen muss, damit umzugehen, würde hier nicht mehr gelten als bei Filmen und Computerspielen und allem anderen, was die menschliche Kultur als Mittel der Zerstreuung oder des Genusses hervorgebracht hat.

Jetzt stellt sich aber noch eine ganz andere Frage:

Inwiefern kann man dann Pornografie anerkennen als eine Schöpfung menschlicher Kreativität, die eben schlichtweg derartige Fantasien „ungefährlich“ inszenierbar und miterlebbar macht. Jemand, der z.B. Vergewaltigungsfantasien hat, oder darauf steht, Frauen zu fesseln und zu quälen, aber keine Partnerin findet, die das mit ihm spielerisch erlebt, oder nicht so weit gehen will, wie er, hat in der Pornografie eine gute Möglichkeit, einen Ersatz zu finden, der seine Fantasien erträglich macht. Oder Paare können durch Pornografie ihre rein fantastische Ebene gemeinsam erkunden und besser kennenlernen.

Aber du stellst ja auch die Frage nach dem Menschen, der hier ausgeblendet wird. Das Thema hatten wir ja schon mal hier im Forum.

Inwiefern könnte man dann sagen, dass eine Porno-Darstellerin eben eine Art Künstlerin ist, die sich mit eigenem Gefallen einem Dreh zur Verfügung stellt, und damit bewusst ein Werk auf dieser reinen Fantasie-Ebene mitkreiert?

Ich denke hier müssen wir die rein moralische Ebene verlassen und die Pornografie in den polit-ökonomischen Zusammenhang stellen, in dem sie in unserer Gesellschaft steht. Es fällt nämlich bei genauerem Hinsehen sehr schnell auf, dass die Pornografie, wie wir sie kennen, eines der Markenzeichen der kapitalistisch-marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaften ist – mit Japan und den USA als den bekanntesten Vertretern sowohl dieser Gesellschaftsform, als auch von im legalen Rahmen produzierter und vertriebener Pornografie.

Ich sehe hier keinen Zufall am Werk. Denn der Porno in der uns bekannten und konsumierten Form lebt eben gerade von der Idee des Konsums und der Ware. Es geht um das käuflich machen von Lust. Und das rückt alle oben behandelten moralischen Fragen in ein ganz anderes Licht. Mit dem Vorhandensein der Ware in der kapitalistischen Gesellschaftsform entsteht eben auch jenes ganz spezifische Verhältnis zu Geld und Arbeit in das das Pornogeschäft eingebettet ist. Es geht immer auch darum, dass hier für etwas Geld bezahlt wird. Vom Konsumenten an den Hersteller von Pornografie, und vom Hersteller an seine Darsteller.

Dieses gesellschaftliche Verhältnis beinhaltet an sich schon per se die Anonymität des Marktes, mit dem die verschiedenen Individuen zueinander in Beziehung treten. In allen gesellschaftlichen Belangen ist zunehmend an die Stelle einer gemeinschaftlich koordinierten Sozietät der anonyme Markt getreten, der alle Bedürfnisse und die damit entstehenden Aufwände über ein reines Geldverhältnis regelt. Jeder Mensch ist damit immer nur insoweit frei und in die Gesellschaft eingebunden, sofern er seine Arbeit verkaufen kann, bzw. das Geld besitzt, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Über das eigentliche Schicksal der Menschen bestimmt aber die kalte unsichtbare Hand der Märkte.

Und so hat man die Wahl zwischen A, B und C. Für eine mittellose Frau kann das bedeuten: A: Klos putzen, B: Pornos drehen, C: Obdachlosigkeit und/oder Entwürdigung. Natürlich ist diese Wahl nur oberflächlich frei, weil sie ja auch noch vom Konkurrenzverhältnis aller gegen alle durchzogen ist und zudem eine Entwürdigung in allen Wahlmöglichkeiten entsteht, wenn man den stummen gesellschaftlichen Zwang dazurechnet. Kurz: Wer die Klos schneller putzt, kriegt den Job. Wer beim Dreh zu mehr bereit ist, kriegt den Dreh.

Und hier liegt aus meiner Sicht das eigentlich entwürdigende Element der Pornografie, das damit eigentlich genau genommen gar kein Problem der Pornografie darstellt, sondern der tiefsitzenden Struktur unserer Gesellschaft innewohnt. Sich verkaufen zu können kann immer auch bedeuten, sich verkaufen zu müssen.

Diesen Punkt hat Iris auch in ihrem Artikel in der Konkret ganz gut angeschnitten, wenn es um das Thema Feminsimus geht. Wenn man Feminsimus aus einer gesellschaftskonformen Position betreibt, dann geht es lediglich um mehr Quoten für Frauen. Wenn man das gesellschaftliche Gewaltverhältnis in unserer Produktionsweise betrachtet, stehen Frauen in einem ganz anderen Zwang, der nur aus der Kritik der politisch-ökonomischen Verhältnisse erkennbar ist. Und das gleiche gilt eben für die entwürdigende Seite der Pornografie. Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der die Möglichkeit zu kaufen und zu verkaufen ohnehin schon jede andere Form des gemeinsamen Konsenses zunehmend aufgelöst hat und auflöst, habe ich nie eine Garantie dafür ob es sich bei dem was ich konsumiere um eine freie Inszenierung handelt in der sich eine Frau wohl und bestätigt fühlt, oder ob hier eine Frau ihren Körper einer männlich dominierten Sex-Fantasie zur Verfügung stellt. Wobei sie sich, vorausgesetzt, sie hat die gesellschaftlich geltenden Belohnungssysteme bereits verinnerlicht, auch noch dabei bestätigt fühlen kann: Sie kann nun von dem Geld selbst wieder shoppen gehen – zum Beispiel sich ein Notebook oder ein Mobiltelefon kaufen, das von anderen Frauen in 12-Stunden-Schichten in China hergestellt wurde, die ebensowenig die Wahl haben, wirklich frei über ihr Leben zu bestimmen.

Insofern liegt das Problem der Pornografie also aus meiner Sicht weniger auf einer moralischen Ebene, sondern auf einer gesamtgesellshaftlichen ökonomischen. Der Kauf von einem Notebook entwürdigt in gewisser Weise einen Menschen ebenso, weil ich ebenso an die Stelle der Achtung seiner Leistung und der gesellschaftlich koordinierten Tätigkeit die reine Beziehung zwischen Arbeit, Ware und Geld treten lasse, die so ziemlich alles rechtfertigt. Das ändern weder irgendwelche Auflagen in irgendwelchen Ländern zum Thema Pornografie, noch irgendwelche Maßnahmen zum Schutz am Arbeitsplatz. Wir leben in einer Welt, die Menschen in allen Belangen des Lebens entwürdigt, und es gibt strukturelle Zwänge, die es schwer machen, sich dem zu entziehen.

Ich bin der Meinung, dass wenn Pornografie aus diesem gesellschaftlichen Zusammenhang herausgenommen werden würde, dass sie dann im Grunde auf die Ebene von Kunst gehoben wäre. Wenn es dann überhaupt noch das wäre, was wir heute als Pornografie bezeichnen. Bis dahin kann ich versichern: All das Zeug da draussen gibt es deshalb, weil irgendwo irgendwer eine Menge Kapital daraus schlägt, und nicht, weil so viele Frauen so affenscharf darauf sind, das alles vor der Kamera zu machen.

Das ist entwürdigend. Aber nicht, weil es hier um moralisch bedenkliche Fantasien geht, in denen eine Frau als hilfloses Objekt inszeniert wird, was ja offensichtlich auch eine Fantasie von vielen Frauen sein kann und darf; sondern aufgrund des Kontextes, in dem diese Fantasien zu einer Quelle von Kapital werden, womit auch die Körper der Frauen indirekt immer als eine Quelle von Kapital zu erkennen sind.


Sooo..., das lass' ich jetzt mal so stehen.


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Ich, Seilchen, distanziere mich hiermit vom Inhalt dieses Beitrags und mache mir diesen in keiner Weise zu eigen. 06.11.2012 18:41
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