Willkommen in meinem Bondage-Forum! Ich wünsche uns allen qualifizierte Beiträge, regen Austausch und viel Spaß! Forum powered by Nutzungsbedingungen geschrieben von nachtschatten am 09.12.2011 um 00:08:13 - als Antwort auf: Re: "Die richtige Sub" ...von nachschatten von Liara88 Hallo Liara, ich finde den Gesprächsfaden auf jeden Fall auch sehr interessant! Mir ging es ja nur darum, dass das mit den Forenregeln kompatibel bleibt (beim Thema bleiben und so...). Nun, ein gutes Gespräch beginnt nunmal sich irgendwann zu verzweigen und immer neue Themen anzuregen. Ich bleibe dann einfach mal in diesem Thread und hoffe, dass das in Ordnung ist. Selbstverständlich bin ich NICHT der Ansicht, dass man BDSM „heilen“ müsse. Ich wollte nur die Sicht Reichs, den ich ja vorgestellt hatte, nicht beschönigen. Was mich an ihm interessiert ist, dass er sexuelle Zufriedenheit und individuelles sowie gesellschaftliches Wohlergehen in einen tief entschlüsselnden Zusammenhang stellt, wie es kein Theoretiker, Psychologe oder Soziologe vor und nach ihm je tat. Das bringt natürlich auch riesige Probleme mit sich. Es stellt sich einfach schnell die Frage, wie man „sexuelle Freiheit“ dann letztlich definiert. Trotz der Möglichkeit, in dieser Hinsicht nahezu alles zu dürfen, gibt es ja anscheinend eine Menge unzufriedener, unerfüllter Menschen. Die heutige Diskussion zu diesem Problem dreht sich dabei in erster Linie um die Anerkennung von Neigungen (Homosexuelität, Sadomasochismus, Fetischismus) Ein tieferes Verständnis der Sexualität und der damit verbundenen Neigungen wird dabei vor allem auch von den „Betroffenen“ als ein Angriff auf ihre Individualität und ihr Selbstverständnis empfunden. Das führt aus meiner Sicht zunehmend zur Übernahme von der Vorstellung einer „genetischen Disposition“ sexueller Vorlieben. Was damit gewonnen, und was damit verloren ist, muss sich noch zeigen. Im wesentlichen sehe ich aber damit einen Weg bereitet für eine schwierige Auffassung: „Wir sind eben wie wir sind, und solange wir damit nicht gegen gesellschaftliche Normen verstossen, ist das in Ordnung. Im Zweifelsfall gilt es, sich diese Normen zu erkämpfen (Anerkennung von Praktiken usw.. auf politischer oder kultureller Ebene)“ Doch was ist nun mit jenen, deren Neigungen weiterhin nicht mit der gesellschaftlichen Ordnung kompatibel sind? Da sie ja nun auch als „sie sind halt so (wegen ihrer Gene o.ä.)“ gelten, rechtfertigt das, diese Menschen als hoffnungslose „Kriminelle“ zu behandeln – so wie es früher vielleicht den Homosexuellen oder den Sadomasochisten ging. Es geht also um eine Vorstellung vom Menschen - und im engeren Sinne seinen sexuellen Vorlieben – an sich. Es geht um die Frage, wie wir „Sexualpolitik“ im weitesten Sinne betreiben wollen – ob wir in allen Menschen zuallererst Menschen sehen wollen (mit ihren Fehlern und Verfehlungen), oder ob wir (wieder) in „freie Individuen“ und „kranke Monster“ einzuteilen beginnen. Genau mit dieser Haltung tun wir als z.B. Sadomasochisten genau das, was wir der Gesellschaft stets vorwarfen, als es um unsere Anerkennung ging. Wir teilen in „gesund“ und „krank“ und verschieben dabei lediglich die Trennlinie. Die SM-Kultur befindet sich nicht zufällig genau an dieser Trennline: Das prinzipiell mit unseren Normen Unvereinbare am Sadismus ist, dass ein Sadist prinzipiell die Lust verspürt, Andere zu quälen, zu vergewaltigen oder zu demütigen. Noch in Zeiten Reichs war das ja genau jener Aspekt, den eine sich als „humanistisch“ bezeichnende Gesellschaft als völlig inakzeptabel betrachten musste. Der Sadist sah sich, zumindest in der offiziellen Debatte genau vor die gleichen Vorwürfe gestellt, wie jeder heute nach wie vor Geächtete „Perverse“: er würde mit dem Ausleben seiner Neigung, (im damaligen Verständnis – und mangels einer etablierten Kultur und klärenden Debatte auch in Real) die Freiheit und Unversehrtheit anderer Menschen gefährden. Der grosse Durchbruch, der ebenso in einer humanistischen Tradition steht, war es ja dann, die Frage nach den Ursprüngen der Perversion zu verlagern von einer Einteilung in Verbrecher und Gesunde, hin zu einem Verständnis dazu, was Menschen macht, wie sie sind – nach dem Menschlichen in jedem Individuum zu fragen. Damit waren viele sexuelle Praktiken zwar nach wie vor geächtet, aber erst hiermit (und dabei spielte Freud mit Sicherheit eine entscheidende Rolle) wurden das Prinzip der Kriminalisierung und die Sexualität an sich völlig neu hinterfragt. Das Wohlergehen des „Perversen“ als Menschen wurde damit in den Mittelpunkt gerückt, die Frage nach seinen Bedürfnissen und Gründen das erste mal in der Geschichte gestellt, um ihm zu „helfen“ anstatt ihn einfach im Rahmen der gesellschaftlichen Ordnung als „menschlichen Ausschuss“ zu betrachten und wegzusperren. Man darf diesen Punkt nicht unterschätzen. Die damaligen Psychoanalytiker und Sexuologen waren die ersten, die sich mit dem „Perversen“ zusammengesetzt haben, und ihm anboten, seinen Sadismus etc.. gemeinsam zu verstehen, die dahinterliegenden Antriebe zu begreifen. Bis dahin teilte die Wissenschaft lediglich akribisch genau hunderte von „abnormalen“ Verhaltensweisen ein und machte die Betroffenen schlichtweg zu Opfern ihrer eigenen Person, anstatt auch nur ansatzweise gesellschaftliche und pädagogische Zusammenhänge zu befragen. Und genau jenes Befragen, jenes Nachfragen, jenes Aufdecken gesellschaftlicher, pädagogischer und psychologischer Zusammenhänge hatte nicht nur für die damalige Wissenschaft, sondern auch für die Gesellschaftsordnung und die Politik eine subversive Sprengkraft, die manchen aufgeschlossenen Psychologen regelrecht in Gefahr, und die gesamte Disziplin vorerst in Misskredit brachte. „Perversion“ wurde erst durch diesen mutigen Schritt nicht mehr als ein Diesseits und Jenseits gesellschaftlicher Moral verstanden, sondern als ein dynamischer Prozess zwischen Gesellschaft und individuellem Triebschicksal. Die Frage nach erfülltem Dasein in sexueller Hinsicht wurde nicht mehr am Dürfen und Nicht-Dürfen festgemacht, nach dem Motto: „wer auf „normalen Sex“ steht kann glücklich sein, wer „pervers“ ist, hat Pech gehabt.“ Das Entscheidende an diesem Schritt war die Anerkennung jedes einzelnen persönlichen Triebschicksals und nicht die Loslösung von jeder Moral im Stile „römischer Dekadenz“. Das aber erst bereitete einen Weg von der Frage nach erlaubtem Sex hin zu der Frage nach der eigentlich „erfüllenden“ Komponente der Sexualität. Und diese Frage wurde nicht einfach beantwortet mit dem Prinzip, am besten Alles zu erlauben. Es war jenen Sexuologen nämlich allein aus ihrer klinischen Praxis klar, dass es bei der Anerkennung jedes Patienten als Mensch (und nicht als Monster) immer Menschen geben wird, die gesellschaftlich untragbare Grenzen überschreiten werden. Dieser Punkt war es, der jene aufgeschlossenen Forscher wie z.B. Reich tief in das Gebiet der menschlichen Sexualität, der Frage nach ihren Ursprüngen und den Gründen ihrer Ausprägung führte. Seine (womöglich vermessene) Hoffnung war es, durch Einbeziehung von freier Pädagogik und Gesellschaft den Menschen einen Weg zur erfüllenden Sexualität zu zeigen, der nach seiner Meinung jedem „unzerstörtem“ menschlichen Wesen offenstand. Das führte dann eben auch zu so gefährlichen und womöglich fehlgeleiteten Überzeugungen, aufgrund derer er dann auch Homosexualität oder Sadomasochismus „behandelte“. Aber NIEMALS wie noch in den 60er Jahren andere „Ärzte“ mit Elektroschocks und Verachtung (ein prominentes Opfer dieses Wahnsinns ist der Musiker Lou Reed) Er wollte den Menschen, die unglücklich zu ihm kamen einen Weg zeigen, mit ihren Ängsten und Neurosen fertig zu werden und ermutigte sie dabei sogar vehement zu sexueller Freiheit und Liebe, kritisierte die „Zwangsehe“ und die „Zwangsfamilie“ als lebens- und lustfeindlich und forderte von der Gesellschaft die rückhaltlose Aufklärung Jugendlicher. (Ich finde es deshalb einfach nur schade und erschreckend verkürzt, wenn wirklich große Sexualforscher wie Volkmar Sigusch Reich dann in ihrem neuesten Buch wie einen plumpen Naturmoralisten hinstellen) Aber nun zum Abschluss meiner Argumentation: Warum ist die SM-Kultur dann nicht nur zufällig genau jener Grenzpunkt an dem sich Sexualpolitik heute noch als akzeptierend verhält? Es ist genau jener Schritt, den wir zurück machen: Wir teilen wieder zunehmend ein in „erlaubt“ und „nicht erlaubt“ und kommen wieder zunehmend zu der „er ist halt so- Denkweise“ und geniessen damit jene Bequemlichkeit, die es mit sich bringt, jetzt im Kreis der Angenommenen zu verkehren. Auf dieser Ebene, und nur auf dieser gelang der SM-Kultur nämlich der entscheidende argumentative Schlag: „Wir verletzen nicht die Rechte Anderer, denn es gibt ja auch Masochisten, und solange wir mit denen einvernehmlich handeln, befinden wir uns mit unserer Neigung ganz im Rahmen gesellschaftlicher Konvention. Unsere Fantasien bleiben Fantasien, und wenn wir sie ausleben, dann „spielen“ wir nur.“ Ich will beim besten Willen nichts gegen diese Argumentation einwenden! Im Gegenteil, sie ist richtig! Worum es mir geht ist, aufzuzeigen, wie wir damit aber jedes tiefe Verständnis unserer und der Neigung Anderer ablehnen aus Bequemlichkeit, und die Rechtfertigung unserer Art von Sexualität wieder zunehmend auf eine Anerkennung durch gesellschaftliche Konventionen stützen. Und dies immer auch um den Preis der erneuten Ausschliessung aller weiterhin kritisch zu betrachtenden „Perversionen“. Wir haben einmal damit argumentiert, dass jede Art der Sexualität ihr Recht hat, gelebt zu werden, als wir noch ausgeschlossen und kritisiert wurden. Nun, da wir für uns dieses Problem ansatzweise gelöst haben, übersehen wir mit aller Kraft den entscheidenden Aspekt: nämlich, dass dieses Argument genaugenommen gar nicht so einfach zu vertreten ist, wie wir das gerne hätten! Aber nun, da wir auf dem Sonnendeck sitzen, überlassen wir den schwierigen Teil jenen, die „Pech“ gehabt haben, weil sie eben so sind, wie sie sind. Jetzt, da unsere Sexualität anerkannt ist, wollen wir diese Frage, warum denn jemand ist, wie er ist, bitteschön nicht mehr hören – wir empfinden sie als einen unnützen Angriff auf unseren Spass und unsere Individualität. Als Nächstes stellt sich dann noch die Frage, ob eben jener Spass und jene Individualität stets so ohne Weiteres mit dem „freien Ausleben“ der Neigung gegeben sind. Ich denke, viele Diskussionen hier zeigen immer wieder, dass man hier auch auf Probleme stossen kann. Ich denke, ich habe in Anderen Texten zu genüge ausgeführt, warum ich auch hier eine bloße Identifikation mit der Neigung nicht immer für das beste halte. Und die entscheidende Alternative ist eben auch hier, den Mut zu haben, auch mal nach Gründen zu fragen. Deinen Gedanken zu SM als einer „kultivierten“ Form von Sexualität finde ich höchst spannend. Ich glaube, ich sehe das ganz ähnlich. Um das so sehen zu können, musste ich mich aber tatsächlich erst sehr viel mit dem Thema auseinandersetzen. Jeder Akt menschlicher Kultur birgt auch Gefahren. Sadismus und Masochismus haben immer auch ein (selbst)zerstörerisches Potential. Um das zu verstehen fand ich die Beschäftigung mit Menschen, die das kritisch untersuchen unverzichtbar. So, wie du das formuliert hast, finde ich es wunderschön. Bleibt noch zu hoffen auf jene „freie Welt ohne Grenzen und Unterdrückung“. So sehr heute die Bemühungen an jeder Ecke vehement sind, das als das Unmöglichste und Vermessenste darzustellen, das man erhoffen und wagen kann zu versuchen... Ich bin dabei! Deine Spielbeziehung ist doch völlig o.k. Liebe meine ich doch auch nicht als etwas exklusives, totales, was man nur für einen Menschen empfinden darf. Ich denke, wenn dein Spielpartner und du so viel Freude habt, dann ist da doch sicher auch Vertrauen und Zuneigung da – es ist halt nicht das, was du für eine Paar-Beziehung wünschen würdest. Aber irgendwie ist das doch auch eine Art Liebe? Dass man denkt, man wäre für alle Anderen zu „ungewöhnlich“ kenne ich. Jeder Mensch ist eigentlich ungewöhnlich, wenn man ihn nur genauer kennt. Als ich vor vielen Jahren mit meiner Partnerin in meinem Zimmer saß und wir ganz aufgewühlt waren, weil wir an dem Punkt waren, dass wir uns fragten, ob wir zusammensein wollen, da sagte ich zu ihr völlig verängstigt: „aber ich bin ziemlich schwierig“, darauf antwortete sie mir: „ich auch“, und das war der Moment, als wir uns entschlossen haben. Tja, und dass wir damit recht behalten haben zeigte sich mal wieder. Kurz nachdem ich den Text an dich abschickte mit meinen mangelnden Erfahrungen und der Frage nach der „offenen Beziehung“, erfuhr ich von ihr, dass sie sich (mal wieder) in jemanden verknallt hat, und nun müssen wir wieder sehen, wie wir das alles hinkriegen. Oh je! Der Text ist schon wieder so schrecklich lang. Es tut mir leid, aber ich finde keine Passage, die ich jetzt noch rausnehmen kann, ohne dass das alles ganz unschlüssig wird. Ich hoffe es ist keine Zumutung. Liebe Grüsse nachtschatten --- Ich, Seilchen, distanziere mich hiermit vom Inhalt dieses Beitrags und mache mir diesen in keiner Weise zu eigen. 09.12.2011 00:08 --- Antworten zu diesem Beitrag: |