hilflos, gefesselt und erregt

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Re: Eben erst erwacht oder auch entrückt...

geschrieben von nachtschatten  am 27.09.2012 um 00:41:08 - als Antwort auf: Re: Eben erst erwacht oder auch entrückt... von Bienenkönigin
Hallo,

Also ich will versuchen, ein paar Gedanken zu deiner Befürchtung zu formulieren:


Also, mit dem, was in dir schlummert, meinst du deine Fantasien, die du eben nicht so recht einordnen kannst. Weil du dich da ganz gut wiederfindest, ordnest du sie bei BDSM ein und siehst, was da so alles dazugehören könnte.


Grundsätzlich ist es aber so, dass BDSM zuerst einmal nichts weiter als ein Begriff ist, der eine ganze Menge verschiedenste Verhaltensweisen und Praktiken unter sich sammelt. Im Grunde handelt es sich um ein völlig willkürliches Kunstgebilde. Würde man zehn Menschen, die sich als BDSMer sehen zusammenbringen, könnte es theoretisch passieren, dass keiner etwas mit dem anderen anfangen kann. Während der/die eine es liebt, jemanden auszupeitschen, aber keinen einzigen Knoten beherrscht, könnte sein Gegenüber Schmerzen jeder Art als absolutes Tabu sehen, sich aber als BDSMer fühlen, weil er/sie es liebt, hilflos, gefesselt und erregt zu sein. ... usw...

Das Gleiche gilt für die Intensität: Für den einen ist es BDSM, wenn man sich beim Sex an den Haaren zieht, beim Anderen hat der Begriff nichts verloren, solange nicht irgendwo Blut fließt und sich Nadeln ins Fleisch bohren.

Also was ich damit erst mal sagen will: BDSM ist nicht wie eine Achterbahn, bei der du, einmal eingestiegen, alle Loopings nehmen musst, die auf der Strecke liegen. BDSM ist auch nicht die eine Pille, mit allen bekannten Wirkungen, die man einwerfen kann oder nicht. BDSM ist einfach nur ein Begriff, der als grobe Hilfe dient, einen Themenkomplex zusammenzufassen, bei dem viele Menschen Zusammenhänge sehen oder eher erahnen.

Ob diese Zusammenhänge in der Tat existieren, ist in Wahrheit sicher schwer zu sagen.

Es wurde hier ja immer mal wieder thematisiert, dass Handlungen im BDSM-Kontext für viele Menschen eine Art bewusste oder auch unbewusste Kompensation für etwas darstellen können. Wobei ich den Eindruck habe, dass es oft schwer zu benennen ist, was da nun genau kompensiert wird. Jedenfalls kann die entsprechende Neigung schon sehr früh auftreten, und einen beinahe zwanghaften Charakter haben. (Ich weiss nicht, wie lange ich es aushalten würde, mir nicht wenigstens von Zeit zu Zeit ein paar Bildchen von gefesselten Frauen anzusehen) Für viele BDSMer ist ihre Neigung von Anfang an eine Bedingung, in ihrer Sexualität überhaupt Erfüllung zu finden. Und oft ist diese Erfüllung sogar an sehr spezifische Abläufe oder Elemente gebunden, die immer irgendwie mitspielen müssen. (Demütigung, Beschimpfungen, Fesseln, Peitschen oder sogar ganz spezifische Szenen, die sich immer wiederholen müssen usw..)

Andere Menschen wiederum sehen in Elementen des Fesselns, des Hintern-Verhauens oder des Dominierens schlichtweg eine reizvolle Erweiterung ihrer sexuellen Praktiken und Erfahrungen. Da stellt sich dann eben die Frage, wo die Grenze zum BDSM ist, womit wir wieder beim Haare ziehen wären. Sexualität kommt womöglich gar nicht ohne irgendwelche derartigen Beigaben aus. Ich versuche mir gerade eine Sexualität vorzustellen, die völlig ohne irgendeine Art von Geben und Nehmen stattfindet ... . Die antike Sexualität war zum Beispiel auf der Vorstellung begründet, dass der Penetrierende immer dem Penetrierten übergeordnet ist. Und wenn man mal in Foucaults „Gebrauch der Lüste“ im Kapitel „Ökonomik“ über die Vorstellungen von der Ehe im antiken Hauswesen liest, dürfte man denken, dass da so manche romantische 24/7-Sklavin auf ihre Kosten gekommen wäre. Man könnte ja ganz blöd und dreist fragen: War das BDSM?


Also: Unergründliche, möglicherweise sehr verschiedene Beweggründe vermischen sich hier mit gesellschaftlich gegebenen Bedingungen und Verhältnissen. Die Frage, auf welchen Partner man trifft kann ebenso entscheidend sein, wie die Frage, aus welchem inneren Beweggrund man überhaupt diese Sehnsüchte verspürt.

Insofern kann dir sicher keiner sagen, wo deine Reise letztlich wirklich hingeht. Denn wenn du tatsächlich dazu neigen solltest, mit BDSM einen Kick zu suchen, weil du vielleicht vor irgendetwas davonlaufen willst, dann kann ich ja schlecht verantworten, dir nicht zur Achtsamkeit zu raten.

Aber diesen Eindruck habe ich von dir eigentlich fürs erste nicht.

Ich kann dir deshalb erstmal nur meine Erfahrung mitgeben: Dass sich Grenzen verschieben, sich Praktiken erweitern, kann durchaus heissen, dass das Erleben intensiver wird. Es muss aber nicht heissen, dass es deshalb immer extremer wird.

Mit den Jahren habe ich meine Fesseltechniken erweitert. Ich könnte vielleicht sagen, dass unsere Fesselungen extremer wurden, weil ich mehr Möglichkeiten entdeckte. Mit dem Fortschreiten ist aber auch die Erfahrung und die Vorsicht gewachsen. Letztlich haben wir mehr Möglichkeiten zur Verfügung, weil wir mehr Erfahrung haben. Extrem heisst nicht zugleich gefährlich. Es kommt eben immer auch darauf an, mit welchem Wissen, mit welchem Boot und mit welcher Erfahrung man raus aufs Meer fährt. Man muss sich einfach jederzeit richtig einschätzen können.

Ich denke, dass hier die Gefahr beginnt, wenn BDSM in sehr starkem Maße zur Befreiung von seelischen Wunden benutzt wird. Hier kann einen ein hoher Leidensdruck vielleicht regelrecht in die Extreme hineintreiben, ohne dass man seine eigene Erfahrung vorher richtig einschätzt und in sein gesamtes Erleben bewusst integriert.

Ein anderer Punkt ist, dass meine Freundin in den letzten Zeiten begonnen hat, sich bewusster ein wenig Lust an Schmerz einzugestehen. Aber auch hier läuft alles sehr kontrolliert ab. Wir experimentieren eben gelegentlich damit. Wichtig ist dabei das Vertrauen und der Rahmen, den in unserem Fall die Beziehung gibt. Man achtet auf einen Menschen, den man liebt. Und so fühlt sie sich eben jetzt sicher genug, sich auf solche Experimente eher einzulassen. Sie hat aber momentan auch sehr viel Auseinandersetzung mit sich. So kann sie die Erfahrungen mit Lust am Schmerz in einen grösseren Kontext einordnen. Sie erlebt das nicht unreflektiert. Sie ist sich zum Beispiel bewusst, dass sie sehr verängstigende Erinnerungen daran hat, dass ihr Vater sie öfter mal verhauen hat, um sie zu bestrafen. Wieder zählt einfach die ganze Person, um beurteilen zu können, was da geschieht.

Ein dritter Punkt, der unsere Erfahrungen intensiviert hat ist, dass wir gelernt haben, mehr Nähe zuzulassen. Das kann Küssen oder auch intensiverer Augenkontakt während einer Session sein, aber auch einfach ein stärkeres Gefühl des gemeinsamen Erlebens. Früher fiel das vor allem meiner Partnerin, aber auch mir bei SM-lastigen Sachen schwer. Jetzt ist das manchmal möglich und es erzeugt in mir ganz andere Gefühle. Was ich damit andeuten will: dass es auch eine Art von Weiterentwicklung geben kann, die durchaus einen stärkeren Kick schenkt, aber nicht unbedingt mit mehr Extremen zu tun haben muss. Auch soetwas meine ich mit dem Verschieben von Grenzen. Manchmal liegen diese Grenzen auch genau in der anderen Richtung, beim Zulassen von Zärtlichkeit und Intimität.

Also, was ich damit sagen will:

Ebenso, wie es lediglich ein Abschreckungs-Mythos ist, dass jeder, der einmal Cannabis raucht, irgendwann mit einer Nadel im Arm am Bahnhof endet, ebenso trifft es gewiss nicht zu, dass jeder, der mal eine Klammer in der Brustwarze hatte, irgendwann stranguliert auf dem Dachboden endet.

Wer auch sonst ganz gut auf sich aufpassen kann, wird sicherlich nicht durch BDSM zum Psychopathen oder Zombie.

... oder sabbern wir deshalb alle so?

So, das war jetzt sehr ausführlich und eher ein ausgedehnter Spaziergang mit Umwegen. Hoffe, das ist nicht so schlimm.

Grüsse

nachtschatten
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Ich, Seilchen, distanziere mich hiermit vom Inhalt dieses Beitrags und mache mir diesen in keiner Weise zu eigen. 27.09.2012 00:41
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